Buchtipp von Eva Gutensohn
Eva Illouz - Der 8. Oktober
Hat sich die Autorin vertan, meinte sie nicht den 7. Oktober? Nein, die Französisch-Israelische Soziologin Eva Illouz hat ein kleines Büchlein geschrieben, in dem sie explizit auf die Reaktionen in der sich als progressiv verstehenden westlichen Linken Bezug nimmt, die einen Tag nach dem Massaker der Hamas, statt wie eigentlich im Sinne des Humanismus mit Mitleid zu reagieren, teilweise in Jubelgesänge ausgebrochen war. Wie kann so etwas sein?
Eva Illouz gelingt es auf knapp 100 Seiten, den (wieder) aufflammenden Antisemitismus in akademischen linken Milieus zu dekonstruieren und bietet gestochen scharfe soziologische, politikwissenschaftliche und psychologische Erklärungsmuster – denn den Antisemitismus einfach nur durch Antisemitismus zu begründen wäre tautologisch...
Der 8. Oktober liest sich teilweise wie eine sehr komplexe Univorlesung – jede Menge theoretisches Hintergrundwissen wird im Mittelteil, wo es um die Erklärungsmuster des „pouvoirisme“, der „Superkritik“ oder der „umherwandernden Strukturen“ geht, vorausgesetzt. Es ist also keine einfache Lektüre, aber den theoretischen Hintergrund braucht es unbedingt, um nicht denselben Fehler zu begehen wie die angeprangerte Personengruppe, der Illouz ein zu einfaches Weltbild und die Unfähigkeit zu abstraktem Denken sowie des Erkennens von Fakten und Wahrheit unterstellt.
Leseempfehlung von Ursula Hellerich
Sabine Adler - Israel
Ein schwacher Hoffnungsschimmer scheint am Horizont auf, es gibt einen, allerdings fragilen, Waffenstillstand zwischen Israel und Gaza. Und doch ist der Konflikt weiter virulent, die Wunden sind tief, die der Terroranschlag der Hamas der Bevölkerung Israels und der sich daran anschliessende Krieg den Menschen im Gazastreifen geschlagen hat. Am 7. Oktober 2023 geschah das schlimmste Pogrom seit der Shoah: Über eintausend Einwohner Israels wurden von der Hamas getötet oder als Geiseln verschleppt. Seither ist Israel mehr denn je zerrissen in unterschiedliche politische Lager und gesellschaftliche Milieus auf der Suche nach Antworten, wohin sich das Land entwickeln kann, und auf der Suche nach Frieden, nach dem sich wohl alle dort sehnen. Auch in Deutschland sind die Meinungsfronten zum Nahostkonflikt oft schroff und unversöhnlich, nicht selten befeuert von der Diskussion in Talkshows und sozialen Medien. Da tut es gut, den Bericht einer kundigen Autorin aus dem Inneren der israelischen Gesellschaft zu lesen.
Sabine Adler bereist Israel seit vielen Jahren regelmäßig und hat darüber in zahlreichen Reportagen berichtet. Und sie kennt die Menschen dort wie kaum eine andere deutsche Reporterin. Für ihr neues Buch hat sie Mitglieder einer weitverzweigten jüdisch israelischen Familie besucht, mit deren ältestem Mitglied Ruth sie bis zu deren Tod eine jahrelange Freundschaft verbunden hat. Ruths Familie hatte zuletzt neunzig Mitglieder. Viele von ihnen hat Sabine Adler getroffen und sie befragt.
Ole Nymoen
Auf der Suche nach der gestohlenen Zeit
Vom Zwang, für Geld zu arbeiten oder: Der größte Raubzug der Geschichte
Der Autor schaut aus dem Fenster und fragt sich: Was machen die Menschen eigentlich den lieben langen Tag? Und vor allem, warum? Erst quälen sie sich aus dem Schlaf, dann schuften sie stundenlang für den Reichtum ...
Douglas Rushkoff
Survival of the Richest
Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind
Als Douglas Rushkoff eine Einladung in ein exklusives Wüstenresort erhält, nimmt er an, dass er dort über Zukunftstechnologien sprechen soll. Stattdessen sieht er sich Milliardären gegenüber, die ihn zu ...
Tipp von Julia Littmann
Philipp Blom - Hoffnung
Das Bedürfnis nach Hoffnung hat im Angesicht aller aktuellen faktischen Schreckensszenarien Konjunktur. Philipp Blom, der als Historiker und Autor vielfältig und verstehbar die Welt und ihre Hintergründe beschreibt, begegnet diesem Bedürfnis häufig, wenn er zum Abschluss seiner Auftritte bei Lesungen um einen Ausblick gebeten wird, der Hoffnung macht. Naiver Optimismus jedoch ist nicht sein Ding.
In seiner kompakten Reflexion Hoffnung – über ein kluges Verhältnis zur Welt geht es Philipp Blom um das starke Movens „Hoffnung" als kollektiv Verbindendes. Auf 180 Seiten gibt er einen aufschlussreichen, kritischen Einblick in die Ideengeschichte von Hoffnung quer durch Kulturen und Religionen. Seine philosophische und historische Spurensuche ist sehr lesbar und erkenntnisreich und beschreibt Hoffnung als das Teilhaftigsein an einer größeren Geschichte, an einer narrativen Struktur. Eine außerordentlich anregende Analyse!
Anneke Lubkowitz - Rebellinnen zu Fuß
Es ist kein Zufall, dass Caspar David Friedrichs berühmtes Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer" einen Mann zeigt: Der Naturraum wird hier als Männerdomäne markiert. Frauen spielten als historische und literarische Wanderinnen selten eine Rolle. Anneke Lubkowitz, selbst von der Stubenhockerin zur Ausflüglerin geworden, hat sich aufgemacht, ihre Vorgängerinnen aufzuspüren und zu würdigen. Sie nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise voller überraschender Geschichten.
Manon Garcia
Mit Männern leben
Überlegungen zum Pelicot-Prozess
Die monströsen Verbrechen an Gisèle Pelicot, die von ihrem Mann über Jahre betäubt und von ihm und fast 70 anderen Männern vergewaltigt wurde, haben die Welt erschüttert. Manon Garcia verbindet ihre präzisen ...
Kate Manne
Größe zeigen
Wie wir Fettfeindlichkeit bekämpfen können
Kate Manne untersucht, wie Fettfeindlichkeit funktioniert, wie sie uns dazu bringt, verheerende Annahmen über die Attraktivität, die Stärken und den Intellekt einer Person zu treffen, und wie sie sich mit anderen ...
KD Wolff - Bin ich nicht ein Hans im Glück?
Als einer der Protagonisten der 68er Bewegung kämpfte KD Wolff gegen Autoritarismus und das Schweigen der Nachkriegszeit. Als Verleger und Gründer des Verlages Stroemfeld/Roter Stern setzte er mit einer neuen Gesamtausgabe der Schriften Hölderlins Maßstäbe. Seit 1995 steht neben Hölderlin und weiteren historisch-kritischen Editionen auch die Historisch-Kritische Frankfurter Kafka-Ausgabe für die stilbildende Editionspraxis des Verlages, der 2018 aufgrund chronischen Geldmangels schließen musste.
Patti Smith - Bread of Angels
Nach Just Kids, der Geschichte ihrer Freundschaft mit Robert Mapplethorpe, gibt uns Patti Smith in diesem neuen Memoir einen zutiefst persönlichen Einblick in ein einzigartiges Leben, das von Anfang an der Kunst und Liebe gehörte. Im Schreiben findet sie Halt, getrieben von dem Bedürfnis, das Alltägliche in das Schöne, das Gewöhnliche in das Magische und den Schmerz in Hoffnung zu verwandeln. Bread of Angels ist das Zeugnis einer einzigartigen Künstlerin über ihre Lebensaufgabe, ihre Berufung und den Glauben an die Macht der Sprache.
Volker Weidermann
Wenn ich eine Wolke wäre
Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens
Siebzehn Jahre, nachdem Mascha Kaléko Nazi-Deutschland in letzter Minute verlassen hat, kehrt sie zurück. Es ist eine Reise in die Vergangenheit – verbunden mit der bangen Frage, ob sie auch eine in die Zukunft ...
Marie-Janine Calic
Balkan-Odyssee, 1933-1941
Auf der Flucht vor Hitler durch Südosteuropa
Der Theaterstar Tilla Durieux, die Schriftsteller Manès Sperber und Ernst Toller, der Dramatiker Franz Theodor Csokor, der Maler Richard Ziegler und viele andere – sie alle flohen vor Hitler nach Südosteuropa und ...
Jaroslav Rudiš
Von Altbier, alkoholfrei bis Zwickel – Jaroslav Rudis, der aus dem Bierparadies Böhmen stammt, probiert sie alle. Er besucht Klöster und Brauereien, Biergärten und Pubs. Reist dafür nach Pilsen, Budweis und Bamberg, ins heilige Bierdreieck Mitteleuropas, aber auch nach Belgien und Irland, Italien und sogar Island. Ein Reisebuch zu den schönsten Bierorten Europas, mitreißend und voller Geschichten und Geschichte, die das Bier erzählt.
Christoph Biermann
Die Tabelle lügt immer
Über die Macht des Zufalls im Fußball
Was wäre, wenn nicht stimmt, was wir über Fußball denken: dass trotz aller Anstrengungen von allen Beteiligten, den Zufall unter Kontrolle zu bringen, nicht selten die Falschen oben in der Tabelle stehen und nicht ...



