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Buchtipps für Leser*innen
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jos fritz. chronik

Seit April 1975 gibt es in der Freiburger Wilhelmstraße, nicht viel mehr als einen kräftigen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt, die Buchhandlung jos fritz. Seit einem halben Jahrhundert trotzt sie nun schon den Verwerfungen der Welt und ist aus dieser Stadt als Ort der Literatur kaum mehr wegzudenken. Gegründet wurde jos fritz als Teil der lebendigen, undogmatischen linken Szene der 1970er Jahre. Die »Politische Buchhandlung« zog in die ehemaligen Räume der Kohlenhandlung Specht ein, zunächst unter dem Namen Aspirin, schon bald jedoch erfolgte, nicht ganz ohne äußeren Druck, die Umbenennung in jos fritz. Namensgeber war Jos Fritz (1470-1525), ein Anführer der aufständischen Bauern und zeitweise ansässig in Freiburg. Eine historische Figur, die genau zu diesem Zeitpunkt - der Widerstand gegen den Bau eines Kernkraftwerkes und die Besetzung des Bauplatzes im nahegelegenen Wyhl waren in vollem Gange - wie die Faust aufs Auge passte.

Nach wilden Anfangsjahren konsolidierte sich die Buchhandlung zu Beginn der 1980er Jahre wirtschaftlich durch die Belieferung von universitären Instituten der Stadt und die Eröffnung des Antiquariats in unmittelbarer Nähe zum Stammladen. Von Anfang an bestückte jos fritz zahlreiche Büchertische für politische und kulturelle Veranstaltung und war damit in der ganzen Stadt unterwegs. In den 1990er Jahren erweiterte sich jos fritz um neue Themengebiete und Leser*innenschaften und öffnete sich zunehmend auf das Stadtviertel hin. Das Sortiment erweiterte sich, die Belletristik löste das politische Sachbuch als größte Warengruppe ab, neue Ideen wurden diskutiert und eingeführt ohne jedoch die Leidenschaft für anspruchsvolle und engagierte Bücher aufzugeben. Die Verbundenheit mit kleinen, unabhängigen Verlagen blieb bestehen. In den letzten fünfundzwanzig Jahren kam die Belieferung von Freiburger Schulen mit Büchern als weiteres Feld ebenso hinzu wie der Lieferdienst per Fahrradkurier*innen innerhalb Freiburgs. Auch wenn es in dieser Zeit besonders notwendig war, nicht erst seit der Corona-Pandemie versorgt jos fritz Leser*innen mit Büchern frei Haus. Mit der auch räumlich gestalteten Erweiterung des Kinderbuchsortiments und als Partnerbuchhandlung der Büchergilde Gutenberg füllte der Buchladen zuletzt einige Lücken, die sich in der städtischen Buchhandelslandschaft auftaten. Bei all dem blieb jos fritz jedoch mehr als nur eine gewöhnliche Buchhandlung, es war und ist bis heute ein Ort der Zusammenkunft, ein Ort der Diskussion und Begegnung.

Fünf Jahrzehnte sind keine kleine Sache. Es sind fünf Jahrzehnte, in denen sich die Gesellschaft auf vielen Ebenen bedeutend gewandelt hat, in denen die linke alternative Szene gleich mehrere Veränderungen und Metamorphosen durchlaufen hat, und nicht zuletzt sind es fünf Jahrzehnte, in denen sich die Buchbranche stark umgestaltet hat. Die Bedeutung und der Stellenwert des gedruckten Wortes haben sich verschoben, das Leseverhalten hat sich verändert, die Möglichkeiten Bücher zu verlegen und zu vertreiben haben sich gewandelt. Es wird anders gelesen, das Gelesene anders in den Alltag integriert. Es wird in anderem Maße konsumiert, und der ökonomische Druck auf die Buchhandlungen wächst beständig, es bleibt eine Gratwanderung. Dass es die Buchhandlung nach fünf Jahrzehnten noch immer gibt, ist allein ein Grund zur Freude. Dass es jos fritz über all die Jahre nicht aus dem Blick verloren hat, eine gewisse Haltung zu bewahren, ist die vielleicht noch schönere Nachricht.

Was genau jos fritz ist, entzieht sich, in bestimmten Grenzen (denn natürlich ist es eine Buchhandlung, die man in der Wilhelmstraße betritt), einer festen Definition. jos fritz gehört in gewisser Weise niemandem (auch wenn es natürlich von einem konkreten Kollektiv geführt wird), vielmehr gehört es zu etwas: zu einem bestimmten Teil der Stadt, der sich in einer Tradition der Gegenkultur verortet, die nicht davon ausgeht, dass die Verhältnisse, wie sie sich darstellen, schon irgendwie in Ordnung seien. jos fritz weiß, die beste aller Welten ist noch ein Stückchen entfernt, mehr als die ungefähre Richtung maßt es sich nicht an zu wissen, wobei es vielleicht schon ein erster, kleiner Schritt ist, zunächst das zu sein, was die ehemalige Kollegin Larissa Schoberschreibt, ein Ort nämlich »gegen die Beschissenheit der Dinge«. jos fritz ist stabil.