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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Amanda Leduc

cover

Aus dem Englischen von Josefine Haubold.
Nautilus Verlag , kartoniert , 288 Seiten

 20.- €

 01.03.2021

 01.03.2021

Entstellt

Über Märchen, Behinderung und Teilhabe

Amanda Leduc (sprich: Le Djuk) ist eine kanadische Autorin und Mitorganisatorin eines Literaturfestivals. Und sie hat eine Zerebralparese – eine leichte Behinderung, die ihr das Gehen und die Koordination erschwert. Seit ihrer Kindheit liebt sie Geschichten, Märchen, Disney-Filme. Sie träumt sich in andere Welten hinein und spürt doch: Die Prinzessinnen, die Heldinnen, sie sind nicht wie sie. Sie sind unversehrt, makellos, schön. Die Bösen hingegen sind entstellt und hässlich, an Körper und Seele. Aber warum ist das so, und was bedeutet das für unsere Wahrnehmung von Behinderung und von allen Körpern, die nicht der Norm entsprechen?
Amanda Leduc untersucht Märchen von Andersen und Grimm bis hin zu Disney und "modernen Märchen" wie Marvel und "Game of Thrones". Sie zeigt, dass Geschichten von jeher dazu dienten, Dinge zu erklären, die die Menschen vor ein Rätsel stellten, die anders oder unheimlich erschienen. Behinderung wird im Märchen dargestellt als ein Makel, ein Fehler, eine Strafe; oftmals kann sie durch Bewährungsproben überwunden werden. Behindert und zugleich gut sein? Behindert und zugleich glücklich sein? Eine Gesellschaft, die sich verändert, damit behinderte Menschen gleichermaßen teilhaben können? Das lag jenseits aller Vorstellungskraft – und so ist es, und das ist das Problem, im Grunde auch heute noch.
Amanda Leduc verbindet die Geschichten immer wieder mit ihrer eigenen Erfahrung, erzählt von ihrer Kindheit, den Operationen, Mobbing, Depressionen.
Sie macht deutlich, wie wichtig Geschichten für unsere Wahrnehmung der Welt sind – und das in einem absolut mitreißenden, kraftvollen, empathischen Stil. Man möchte das Buch „inspirierend" nennen, doch Leduc beschreibt auch, was es mit dem Begriff "Inspirationsporno" auf sich hat. Ebenso wie sie das soziale und das medizinische Modell von Behinderung erklärt: Die Welt verändern oder den behinderten Menschen verändern? Muss Behinderung immer geheilt werden – oder können wir dahin gelangen, Behinderung nicht mehr als Defizit zu begreifen? Um das zu lernen, brauchen wir neue Geschichten, die die Welt anders erzählen.
Das Buch hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Es zeigt, wie wichtig es ist, dass wir, nachdem wir in den letzten Jahren so viel zu reflektieren gelernt haben über rassistische und sexistische Strukturen in der Gesellschaft, unseren Blick auch auf die Ausgrenzung von behinderten Menschen richten und die Welt für alle zu einem besseren Ort machen.

Katharina Bünger