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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Patrick Holzapfel

cover

, kartoniert , 166 Seiten

 12.- €

 978-3-7518-7025-2

 4. Auflage 2025

Hermelin auf Bänken

Nach der Lektüre dieses Buches wollte ich nur eins: sofort nach Wien fahren, um dort die nächsten Wochen auf Parkbänken zu sitzen, die Leute zu beobachten und vor mich hinzudenken. Genau das nämlich macht der namenlose Held in Patrick Holzapfels grandiosem Erstling. »Ich frage mich, warum ich sonst so wenig auf Bänken sitze. So in den Tag hinein zu sitzen ... das könnte etwas für mich sein.«

Was als gelegentliche Freizeitbeschäftigung anfängt, wird rasch zum alleinigen Inhalt seiner Tage. Der junge Mann wird zum „Müßigsitzer“, zum „Bankier“, der alle Parkbänke der Stadt kennen und lieben lernt. Und: sie manisch zu katalogisieren beginnt. So steht vor jedem der kurzen Kapitel des als Tagebuch angelegten schmalen Werkes eine minutiöse Beschreibung: „Odoakergasse, 14. Juni, 17:32 Uhr – graue Holzplatten, fünf Stück als Sitzfläche, jeweils vier Stück als zweigeteilte Lehne, steht auf Betonplatte. Blick: neu gepflanzter Kirschbaum direkt neben der Straße." Bald schon verbringt der junge Mann ganze Tage und halbe Nächte auf den Bänken Wiens. Warum er das tut, weiß er selbst nicht so genau. „Immerhin vertreibe ich so die Zeit, ich will immer nur die Zeit vertreiben.“

Wer nach einer Handlung sucht, wird enttäuscht werden, wer dagegen gerne flaniert, ist in diesem Text goldrichtig. Und wer sich auf ihn einlässt, bekommt wundervolle, schräge Miniaturen geschenkt, voller Lakonie und Mitgefühl. Und wer weiß, vielleicht erinnert er oder sie sich dann auch an den titelgebenden „Hermelinkönig", den berühmtesten aller „Sandler", wie die obdachlosen Stadtstreicher in Wien genannt werden.

Dass sich der Held in dieser Geschichte übrigens nicht vollends verliert und abstürzt, sondern, im Gegenteil, zurück ins Leben findet, ist ein kleines – auch sprachliches – Wunder. »Ich möchte nicht auf der Straße leben, aber keine Adresse zu haben, das wäre was. Keine Adresse und alles vergessen. Nicht mehr nachdenken. Alles so sehen, als würde es nicht mir, sondern einem anderen passieren.«

Jess Jochimsen, Autor, Kabarettist und Fotograf