Erin Flanagan
Dunkelzeit
Gunthrum, Nebraska, 1985. Als Peggy Ahern, ein junges Mädchen, an einem Wochenende spurlos verschwindet, wird schnell der 25-jährige Landarbeiter Hal zur Zielscheibe der Verdächtigungen. Die durch das Verschwinden des Mädchens entstandene Verunsicherung unter den Bewohnern der Kleinstadt, die dem geistig beeinträchtigten Hal bisher durch viele kleine Hilfsleistungen ein recht selbstständiges Leben mit ermöglicht haben, führt zu unübersehbaren Rissen und Brüchen innerhalb der Gemeinschaft.
Erin Flanagans „Dunkelzeit" (der Originaltitel „Deer Season", also Jagdsaison, ist deutlich aussagekräftiger) ist nur vordergründig ein Krimi. Vielleicht könnte man das Buch, das mit dem angesehenen Edgar Award für das beste Debüt ausgezeichnet wurde, eher als feinfühliges Sozialporträt bezeichnen. Hier begegnet einem nur wenig polizeiliche Ermittlungsarbeit, dafür hat die Autorin umso mehr Akribie in die Ausarbeitung der Figuren gesteckt. Erzählt werden die Geschehnisse aus drei verschiedenen Perspektiven, wobei Flanagan sich durchgängig an die Außenseiter hält.
Zunächst einmal ist da die zugezogene Alma, die gemeinsam mit ihrem ortsansässigen Ehemann Clyle den jungen Hal als Landarbeiter auf ihrer Farm aufgenommen hat. Sie kämpft mit allen Mitteln für Hal, der eine Art Sohn für sie geworden ist. Dann ist da Milo, der jüngere Bruder der vermissten Peggy, dem es nicht gelingen will, die von ihm geforderte Rolle sowohl innerhalb der Gemeinschaft als auch innerhalb dieser speziellen Situation einzunehmen. Und zuletzt gibt es Clyle, der wie seine Frau an Hals Unschuld glauben möchte, dem aber vermehrt Zweifel kommen und dem der Zugang zu seiner Frau zunehmend entgleitet.
Flanagan gelingt es eindrucksvoll, auch die Leserin über die Geschehnisse des Verschwindens im Unklaren zu lassen (hierin kommt das Buch einem klassischen Krimi vielleicht am nächsten). Denn tatsächlich sind Hals Erklärungen zu den Blutspuren in seinem Truck und einer Delle am Kühlergrill zwar einigermaßen plausibel, ganz können sie den Zweifel jedoch nicht aus der Welt schaffen. „Dunkelzeit" ist ein Buch darüber, was ein Ereignis in ganz normalen Menschen auslösen kann, über Außenseiter in einer fest umrissenen Gemeinschaft, und darüber, wie schwierig es ist, auch wenn man letztlich das Gleiche will, gemeinsam zu agieren.
Jonas Wegerer

Aus dem Englischen von Steffen Jacobs, Cornelius Hartz und Stefanie Kremer.
Atrium , gebunden , 368 Seiten
25.- €
978-3-85535-145-9
18.05.2023
Dunkelzeit
Gunthrum, Nebraska, 1985. Als Peggy Ahern, ein junges Mädchen, an einem Wochenende spurlos verschwindet, wird schnell der 25-jährige Landarbeiter Hal zur Zielscheibe der Verdächtigungen. Die durch das Verschwinden des Mädchens entstandene Verunsicherung unter den Bewohnern der Kleinstadt, die dem geistig beeinträchtigten Hal bisher durch viele kleine Hilfsleistungen ein recht selbstständiges Leben mit ermöglicht haben, führt zu unübersehbaren Rissen und Brüchen innerhalb der Gemeinschaft.
Erin Flanagans „Dunkelzeit" (der Originaltitel „Deer Season", also Jagdsaison, ist deutlich aussagekräftiger) ist nur vordergründig ein Krimi. Vielleicht könnte man das Buch, das mit dem angesehenen Edgar Award für das beste Debüt ausgezeichnet wurde, eher als feinfühliges Sozialporträt bezeichnen. Hier begegnet einem nur wenig polizeiliche Ermittlungsarbeit, dafür hat die Autorin umso mehr Akribie in die Ausarbeitung der Figuren gesteckt. Erzählt werden die Geschehnisse aus drei verschiedenen Perspektiven, wobei Flanagan sich durchgängig an die Außenseiter hält.
Zunächst einmal ist da die zugezogene Alma, die gemeinsam mit ihrem ortsansässigen Ehemann Clyle den jungen Hal als Landarbeiter auf ihrer Farm aufgenommen hat. Sie kämpft mit allen Mitteln für Hal, der eine Art Sohn für sie geworden ist. Dann ist da Milo, der jüngere Bruder der vermissten Peggy, dem es nicht gelingen will, die von ihm geforderte Rolle sowohl innerhalb der Gemeinschaft als auch innerhalb dieser speziellen Situation einzunehmen. Und zuletzt gibt es Clyle, der wie seine Frau an Hals Unschuld glauben möchte, dem aber vermehrt Zweifel kommen und dem der Zugang zu seiner Frau zunehmend entgleitet.
Flanagan gelingt es eindrucksvoll, auch die Leserin über die Geschehnisse des Verschwindens im Unklaren zu lassen (hierin kommt das Buch einem klassischen Krimi vielleicht am nächsten). Denn tatsächlich sind Hals Erklärungen zu den Blutspuren in seinem Truck und einer Delle am Kühlergrill zwar einigermaßen plausibel, ganz können sie den Zweifel jedoch nicht aus der Welt schaffen. „Dunkelzeit" ist ein Buch darüber, was ein Ereignis in ganz normalen Menschen auslösen kann, über Außenseiter in einer fest umrissenen Gemeinschaft, und darüber, wie schwierig es ist, auch wenn man letztlich das Gleiche will, gemeinsam zu agieren.
Jonas Wegerer