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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Lukas Maisel

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Rowohlt Verlag , gebunden , 128 Seiten

 22.- €

 978-3-498-00308-1

 19.07.2022

Tanners Erde

Die Fakten sind geologisch so gewöhnlich wie schnell erzählt: In einem Schweizer Bauerndorf sind auf der Kuhweide von Ernst Tanner zwei tiefe Erdlöcher entstanden. Wie eine Warnbarke hat sich der Kirschbaum neben den Löchern stark geneigt. Schon bevor sich das Nichts auf seiner Weide aufgetan hat, ist der gesundheitlich angeschlagene Tanner mit der Hofarbeit überfordert.Seine Frau Marie ist ihm keine Hilfe; sie kocht, strickt und schweigt mit Tanner um die Wette. Ernsthafte lösungsorientierte Gespräche sind ihre Sache nicht. Tanners Hof wirft kaum genug für den Lebensunterhalt ab, aber ein Bauer geht eher zugrunde, als dass er sich helfen lässt. Obwohl Tanner die Fragen beschäftigen – wie sind die Löcher in meine Wiese gekommen, und wo ist die Erde daraus geblieben? – verheimlicht er seiner Frau deren Existenz, bis sie in eines hineinfällt.

Tanner, ein gläubiger Katholik und getragen vom Großen und Ganzen, verliert das Vertrauen in seine Fähigkeiten als Bauer. Er traut sich nicht, die Wiese rund um die Löcher zu mähen, seine Kühe müssen im Stall bleiben und drohen zu verhungern. Durch die Löcher aus dem Nichts gerät Tanners brüchige Lebensbilanz endgültig ins Wanken. Was hätte er anders machen sollen, machen können, um dieser Strafe aus dem Nichts zu entgehen?

Während Fernsehleute aus dem In- und Ausland Tanners Löcher besichtigen und Geologen die Ursache zu ergründen versuchen, wenden sich die Dorfbewohner und auch der Pfarrer von ihm ab.

Mit der Solidarität und dem Zusammenhalt im Dorf ist es nicht weit her. Tanner will ja nichts geschenkt haben, aber als die Dorfbewohner bei einer Gemeindeversammlung seinen Antrag auf einen Sanierungskredit ablehnen, kommt das einem Todesurteil gleich: für seinen Hof und für ihn. Am Ende steht Tanner allein vor seinen Löchern.

In kurzen Kapiteln zeichnet Lukas Maisel das dystopische Psychogramm einer Dorfgemeinschaft. Er schildert die Bruchstellen von dramatischen äußeren Ereignissen und den Existenzfragen und seelischen Verwerfungen, die von ihnen hervorrufen werden. Im Subtext berührt Lukas Maisel weitere Themen, die über die Folgen von Erdbrüchen hinausreichen. Ab Kapitel 2 deuten halbrunde Aussparungen im Text die Löcher auch im Schriftbild an.

Renate Zimmer, Buchclub „Literarischer Frühsport“