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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Anna Burns

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Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll
Klett-Cotta Verlag , gebunden , 452 Seiten

 25.- €

 978-3-608-50468-2

 1. Auflage 2020

Milchmann

Der kürzlich auf deutsch erschienene Roman „Milchmann" ist in einem katholischen Viertel im Belfast der 1970er-Jahre angesiedelt. Genauso gut könnte er aber jetzt handeln, in einem durch Bürgerkrieg zersetzen Land.
Misstrauen und Paranoia beherrschen die Gesellschaft. Individuelles, eigenständiges Denken ist (lebens-)gefährlich und normales Alltagsleben nicht möglich. Die Stadtviertel sind abgeschottet, Milizen kontrollieren die Straßenzüge. Brutalität, Gewalt, Gegengewalt...
Wer hier spricht, das ist die 18jährige Protagonistin, nur Mittelschwester genannt. Sie ist eigensinnig, widerspenstig und klug. Ungewollt gerät sie ins Visier eines „Freiheitskämpfers", der ein Auge auf sie geworfen hat und sie fortan stalkt, bedroht oder anmacht.
„Eines Tages war er da, kam plötzlich mit einem seiner Autos angefahren, als ich im Gehen Ivanhoe las. Ich las oft im Gehen. Das war für mich nichts Ungewöhnliches, und doch sollte es ein weiteres Indiz zu meinen Lasten werden. Lesen im Gehen war eindeutig verdächtig."
Jede/r kontrolliert jede/n, jede/r beäugt jede/n und es geht schnell, bis Gerüchte von einer Affäre den Umlauf machen und Mittelschwester abgestempelt wird.
Ungeachtet dessen hält sie an ihren Eigenheiten fest, auch wenn das zunehmend schwieriger wird. Die Angst liegt über allem, das lässt Anna Burns kunstfertig durch Mittelschwesters Gedanken-Loops einsickern. Selbst wenn du dich raushältst, nicht mitmachst, nicht reagierst ...bist du ein Teil eines gewalttätigen Systems.
Anna Burns' Stil ist unverkennbar. Alle Personen sind namenlos und heißen zum Beispiel Schwager 1, Vielleichtfreund oder Atomjunge. Niemand scheint persönlich greifbar und ist doch Teil einer durch den Bürgerkrieg stark deformierten Gesellschaft. Immer wieder entwickelt sich eine klaustrophobische Stimmung, die schwer auszuhalten ist. Die intensive, nachklingende Sogwirkung aber überwiegt und der Roman endet hoffnungsvoll (so viel sei verraten). Bewegend.