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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Jennifer Egan

cover

Simon & Schuster , kartoniert , 352 Seiten

 16.- €

 978-1-6680-0044-1

 2022

The Candy House

Jennifer Egans A Visit From the Goon Squad schlug 2010 ein wie ein experimentelles Rock-n-Roll-Album, das vollkommen unerwartet an der Spitze der Charts landet. 12 Jahre später legt Egan mit The Candy House gewissermaßen ein – wie sie selbst sagt – Konzeptalbum nach.

Die einzelnen Kapitel von A Visit from the Goon Squad waren aus vollkommen unterschiedlichen Perspektiven heraus und in verschiedenen Stilen erzählt; eines beispielsweise in Form einer überraschend emotionalen PowerPoint-Präsentation. Ob die Kleptomanin Sasha oder ihr Sohn mit Autismus, Lincoln, der in den Pausen großer Rock–n-Roll-Hymnen Trost fand: Man mochte sich mit dem Ende der Lektüre gar nicht von den Charakteren verabschieden.

Die gute Nachricht ist, dass es mit The Candy House ein Wiedersehen mit etlichen der (zwischenzeitlich teilweise überraschend abgehalfterten) alten Bekannten gibt. Und so fühlt man sich auch gleich wieder hineingezogen in dieses erzählte Universum. Konzeptalben haben ja auch den Ruf, schwer zugänglich, verkünstelt und verkopft zu sein, und dann auch noch die ganz großen Fragen stellen zu wollen. The Candy House liest sich aber erfrischend gut weg. Auch dieses Mal werden die Perspektiven und Erzählstile variiert. Aber so paradox es klingt: Durch das Protokoll eines Entzugs, einen den akademischen Rahmen sprengenden Forschungsbericht, oder auch durch eine Intrige im Format eines E-Mail-Verlaufs kommt man den einzelnen Charakteren viel näher als in einem "klassisch" von A nach B erzählten Roman, in dem nur eine:r die Hauptrolle spielt.

Im Roman erfindet ein Tech-Milliardär eine Technologie namens "Own Your Unconscious", einen Datenpool, in dem Erinnerungen kollektiv abgespeichert werden, wodurch auf die Gedanken und Erfahrungen wildfremder Menschen, denen man niemals begegnen wird, zugegriffen werden kann. Dabei lässt sich das doch viel einfacher haben: Indem man einen Roman liest und sich die Gedanken, Erfahrungen und Hoffnungen Anderer – um im Bild zu bleiben – ins Hirn hochlädt; das hat im Zweifelsfall auch weniger schlimme Konsequenzen.

The Candy House nimmt sich dabei selbst nicht zu ernst – und das sollte man als Leser:in auch nicht. Es ist nicht schlimm, den Überblick zu verlieren (kann sogar ganz heilsam sein, auch wenn das sicherlich nicht alle Figuren so unterschreiben würden), und man muss nicht alles verstehen. Egans Erzählung ist dabei derart humorvoll und erschreckend, dass die Nostalgien und Unsinnigkeiten des eigenen Lebens gleich ein wenig mehr verblassen.

Ideal für: Menschen, die keine Tech-Romane mögen.

Georg Zipp