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josfritz Buchhandlung Freiburg
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James Baldwin

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Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow.
dtv , gebunden , 128 Seiten

 18.- €

 978-3-423-28181-2

 31.01.2019

Nach der Flut das Feuer

Was Heranwachsenden im Harlem der 30er Jahre blieb, die von Kindheit an täglich grundlosen Demütigungen ausgesetzt sind, bilanziert James Baldwin im brillanten Essayband Nach der Flut das Feuer recht nüchtern: Pubertät war gleichbedeutend mit Einstieg in Prostitution, Drogen und Kriminalität, und Militärdienst im Weltkrieg keine Alternative, der machte nur noch kaputter. Wer als Schwarzer für die Verteidigung der Ideale seines Landes dem Tod ins Auge blickte, blieb für den weißen G. I. immer nur der „Nigger“, und so lehrte er die Europäer ihn zu behandeln.

Als 14-Jähriger suchte Baldwin eine Zeitlang Trost in der Kirche. Er hatte Talent, und Predigerstar zu sein war aufregend. Er stach seinen Vater auf dessen ureigenem Gebiet aus, wusste, wie er eine Gemeinde zu bearbeiten hatte, „bis sie ihren letzten Cent gab“. Aber die Kirche bot ihm letztlich weder Halt, noch würde sie sein Volk je aus der Sklaverei führen, so inbrünstig das „Let my people go“ auch gesungen wurde.

Diese Ernüchterung machte Baldwin später auch resistent gegen die neue Spiritualität der »Nation of Islam« und ihres charismatischen Anführers Elijah Muhammad. Aber seine Jünger hatten Macht. Anfang der 60er sah Baldwin die Angst erstmals nicht in den Augen der demonstrierenden Schwarzen, sondern der weißen Polizisten. Muhammad gelang, was weder Christen, Sozialarbeiter, Ausschüsse oder Sozialbauten geschafft hatten: „Säufer und Junkies zu heilen, Menschen vom Gefängnis fernzuhalten und Männern und Frauen ihren Stolz zurückzugeben.“

Neugierig nimmt Baldwin eine Einladung zur Privataudienz bei Elijah Muhammad an. Was macht die Nation of Islam für junge Männer, die unter ständiger Demütigung und mit dürftigen Zukunftsperspektiven aufgewachsen sind, als Halt attraktiv? Die Antwort ist ernüchternd. Was am Ende übrig bleibt, ist das bis heute von IS bis NSU präsente, in Hass gestählte Bewusstsein, auserwählt zu sein, in dem Baldwin damals schon Malcolm X und US-Obernazi George Lincoln Rockwell als Geistesbrüder sah. Ein vergiftetes Erbe des weißen Mannes.

„Du hast keine Veranlassung, so zu werden wie die Weißen, und es gibt nicht die geringste Grundlage für ihre unverfrorene Annahme, sie müssten Dich akzeptieren“, plädiert Baldwin in einem bewegenden Brief an seinen Neffen dafür, dieses Erbe auszuschlagen. „Die schreckliche Wahrheit ist, mein Junge: Du musst sie akzeptieren, und zwar mit Liebe.“ Baldwin war nicht naiv und wusste, dass die Weißen ihren Hass mit Gewalt verteidigen werden. Aber eins ließ er sich nicht nehmen: „Ich glaube, dass Menschen besser sein können, als sie sind.“
Baldwin zu lesen, macht geneigt, fern jeder Naivität die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass das stimmt.

Jürgen Reuß Jahrgang 1963, hat Skandinavistik, Germanistik und Philosophie studiert, viele Bücher übersetzt, einige herausgegeben, als Redakteur bei Medien mit eher ungeplanter Obsoleszenz gearbeitet und lebt als freier Journalist, Übersetzer und Autor in Freiburg.