Taschenbuchtipps
René Freudenthal empfiehlt:
Lea Ypi: Frei: Erwachsenwerden am Ende der Geschichte
Ob wir den kompletten Kollaps des kommunistischen Ostblocks in den Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer historisch völlig falsch verstanden haben, fragen sich gerade viele im Westen – mit Blick auf den aggressiven russischen Revanchismus und die imperialen Fieberfantasien von Präsident Putin natürlich.
Die Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics, Lea Ypi, hat die damalige »Zeitenwende« aus einer ganz anderen Perspektive erlebt: Sie wächst – ohne ihr Wissen – als Nachfahrin eines verhassten, von der Revolution abservierten faschistischen Diktators in Albanien auf, das nach dem Siegeszug des Kommunismus einen Sonderweg einschlug: Der brutale Stalinismus, von dem sich die gewaltige Sowjetunion nach dem Tod des schnauzbärtigen Tyrannen vorübergehend verabschiedet hatte, lebt im winzigen Staatssozialismus auf dem Balkan einfach bis in die Wendejahre weiter. Der von der Außenwelt fast völlig isolierte, verarmte Flecken Erde an der Adria grenzt sich in trotzig-heroischer Selbstüberhöhung von den „Imperialisten" in Washington und Moskau gleichermaßen ab, es herrschen Mangelwirtschaft und eine mörderische Geheimpolizei.
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Franziska Parton empfiehlt:
Bettina Wilpert: Herumtreiberinnen
Es ist der Sommer 1983 und Protagonistin des Romans ist die junge Manja. Ihr Schulaufsatz über einen fiktiven Besuch im Westen wird von der Lehrerin gerügt und als feindlich interpretiert. Die anschließende Konfrontation mit ihren Eltern ist ernüchternd. Im Streit geht sie mit der Mutter auseinander und beginnt mit ihrer Jugendfreundin Maxie die eigenen Freiheitsgrade selbstbestimmt zu erkunden. Sie schwänzt zum ersten Mal den Unterricht, unternimmt Streifzüge durch Schrebergärten und verliebt sich. Doch der jugendlichen Leichtigkeit und unverfänglichen Herumtreiberei wird heftig Einhalt geboten.
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Verena Rossbacher
Mon Chéri
und unsere demolierten Seelen
Wie gestaltet man sein Leben, wenn man zwei linke Hände, eine demolierte Seele und jede Menge Probleme hat? Eine hinreißende Tiefstaplerin, der man nicht so ganz trauen kann, führt uns durch den neuen Roman von ...
Jess Jochimsen empfiehlt:
Sophia Fritz: Steine schmeißen
Egal, ob ihr schon einen Plan für die Silvesterverbringung habt oder nicht – lest dieses Buch! Danach werdet ihr ein paar Tage fassungslos durch euer Leben irren und euch fragen, wie es so weit kommen konnte. Was ist das bitte für eine Rakete von einem Debut-Roman? Wien, 31. Dezember, ein halbes Dutzend Freund:innen wollen das alte Jahr loswerden und das wehrt sich. „Die Möbel sehen aus, als wäre auf jedem schon mal jemand von hinten erwürgt worden [...]."
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Xaver Ehmer-Kretzschmar empfiehlt:
Fatma Sagir: Alphabet der Sehnsucht
„Erinnerung bedeutet Anerkennung" – schreibt Sagir in ihrem Buch Alphabet der Sehnsucht. Texte zum Vergessen. Darin findet sich eine Sammlung von kurzen Prosatexten und Gedichten. Die kunstvoll gesetzten Gedichte beschreiben gesellschaftliche Ablehnung, Rassismus, Gewalt, Sehnsucht und das Vergessen.
In den Prosastücken finden sich Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend in Deutschland, Besuche in der Türkei, der Heimat der Eltern, an die schwere Arbeit ihres Vaters im Schichtdienst einer Chemiefabrik.
Harald Herrmann empfiehlt:
Pier Paolo Pasolini: Nach meinem Tod zu veröffentlichen
Wie über etwas schreiben, das einem fremd, unerhört, zärtlich vertraut, widerständig erscheint? Die späten Gedichte von Pasolini sind, über das Zeitgeschichtliche hinaus, begreifbar als eine Art Sprechgesang und Anrufungsgestus, in die Welt gestreut wie Samen auf einen unendlich weltlichen Acker. Frucht und Sorge, Revolte und Resignation sind für Pasolini eins gewesen und Antrieb für seine ungeheure Schaffenskraft und -wut.
In aller Widersprüchlichkeit widersprechen, auch sich selbst. Das setzt eigentlich ein großes Selbstbewusstsein voraus, das, biografisch gesehen, dort nicht so einfach ablesbar ist (und war). Woher also die Kraft, die noch heute sichtbar und lesbar bleibt in seinem Werk, wie ist eine solche Konsistenz zu erklären?
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Frederik Skorzinski empfiehlt:
Wolfram Lotz: Heilige Schrift
ACHTER AUGUST
ZWEITAUSENDSIEBZEHN
so
jetzt
mal hingeschrieben
Wolfram Lotz' Heilige Schrift ist ein Buch, das in keine Schublade passt. Kein Roman, keine Prosa. Lyrik geht immer, passt aber auch nicht recht. Ein Theatertext? Not! Vielleicht eher Tagebuch, oder Protokoll?
In der Abgelegenheit der Vogesen verfasst, berührt der Text kleine Themen des Alltags im Dorfidyll und entwickelt nicht nur daraus große Fragen menschlichen Miteinanders. Gerade weil das Erzählte scheinbar harmlos daherkommt, überrascht, was alles sich, sprachlich genau erfasst, dahinter dennoch verbirgt.
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Lesetipps von Hannes Currle:
Jonas Wegerer empfiehlt:
Patrick Findeis: Paradies und Römer
Paradies und Römer ist ein Ort, Paradiesstraße Ecke Römerstraße, im Osten von Heidenheim an der Brenz gelegen. Eine triste Hochhaussiedlung, schlechte Nachbarschaft, Drogen, Gewalt, sozial schwach, unterprivilegiert, sagt man gemeinhin. Hier sind die vier Protagonisten des Romans von Patrick Findeis groß geworden, hier haben sie gemeinsam ihre Jugend verbracht, Frankie, Danilo, Ferry und Ellen, gemeinsam und doch irgendwie allein.
Ihre Jugendjahre in den frühen Neunzigern, deren Soundtrack aus den Pixies, Violent Femmes, Hüsker Dü und Joy Division besteht, sind der ständig wiederkehrende Bezugspunkt des Romans, der jedoch in der Jetztzeit angesiedelt ist. Post Punk und New Wave sind mittlerweile verschwunden, aus den Heranwachsenden ohne Zukunft sind Eltern mit Vergangenheit geworden, deren Soundtrack nunmehr die Melodien von Elsa der Eiskönigin, Ninjago oder Fortnite bilden.
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Monika Helfer
Löwenherz
Monika Helfer macht aus Lebenserinnerungen Literatur. Nach "Die Bagage" und "Vati" der neue Roman um eine ...
Weitere Taschenbuchtipps:
Georg Zipp empfiehlt:
Jennifer Egans A Visit From the Goon Squad schlug 2010 ein wie ein experimentelles Rock-n-Roll-Album, das vollkommen unerwartet an der Spitze der Charts landet. 12 Jahre später legt Egan mit The Candy House gewissermaßen ein – wie sie selbst sagt – Konzeptalbum nach.
Die einzelnen Kapitel von A Visit from the Goon Squad waren aus vollkommen unterschiedlichen Perspektiven heraus und in verschiedenen Stilen erzählt; eines beispielsweise in Form einer überraschend emotionalen PowerPoint-Präsentation. Ob die Kleptomanin Sasha oder ihr Sohn mit Autismus, Lincoln, der in den Pausen großer Rock–n-Roll-Hymnen Trost fand: Man mochte sich mit dem Ende der Lektüre gar nicht von den Charakteren verabschieden.
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Kiki Huber empfiehlt:
Asako Yuzuki: Butter
Rika Machida, die Protagonistin dieses Romans, ist Journalistin beim Tokioter Shumei Magazin. Sie bemüht sich um ein Exklusivinterview mit Manako Kajii, die in Untersuchungshaft sitzt, weil sie verdächtigt wird, Männer mit ihren Kochkünsten betört und anschließend getötet zu haben.
Auf den ersten Blick könnten die beiden Frauen nicht unterschiedlicher sein: Rika hat sich noch nie viel aus Rezepten oder Mode gemacht und führt ein Leben, das von Selbstdisziplin geprägt ist. Manako Kajii dagegen beeindruckt selbst im Gefängnis noch durch ihr modisches Gespür. Genuss steht für sie an erster Stelle.
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Gianfranco Calligarich
Der letzte Sommer in der Stadt
Rom, Anfang der siebziger Jahre: Der junge Leo Gazzarra kommt aus Mailand in die Ewige Stadt, die ihm alles zu bieten scheint. Ein befreundetes Paar überlässt ihm seine Wohnung und verkauft ihm einen alten Alfa ...